Wir schreiben das Jahr 1913, und die Wiener High Society ist entschlossen, das siebzigjährige Jubiläum der Thronbesteigung von Kaiser Franz Josef angemessen zu feiern. Doch während die Aristokratie versucht, aus dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie etwas Glänzendes zu retten, gibt es in der gewöhnlichen Wiener Welt erste Anzeichen einer ernsthaften Rebellion. Inmitten dieses sozialen Labyrinths befindet sich Ulrich: jung, reich, Ex-Soldat, Verführer und Wissenschaftler. Unfähig, sich vorzumachen, dass das Sammelsurium an Eigenschaften und Werten, das ihm seine Welt verliehen hat, so etwas wie einen angeborenen “Charakter” darstellt, ist er tatsächlich ein Mann “ohne Eigenschaften”, ein brillanter, distanzierter Beobachter der sich drehenden, rasenden Gesellschaft um ihn herum. Ulrich selbst weiß nur, dass er allen seinen Eigenschaften gegenüber seltsam gleichgültig ist. Das Fehlen eines tiefen Wesens und die Zweideutigkeit als allgemeine Lebenseinstellung sind seine Hauptmerkmale. Bekannt geworden ist das Buch vor allem durch das Motiv der inzestuösen Geschwisterliebe, die sich zwischen Ulrich und seiner Schwester Agathe im späteren Verlauf der Geschichte zunächst zaghaft entwickelt und durch welche beide letztlich hoffen, ein anderes mystisches Leben verwirklichen zu können. Wir lernen außerdem den Mörder und Vergewaltiger Moosbrugger kennen, der für den Mord an einer Prostituierten verurteilt wird. Weitere Protagonisten sind Ulrichs Geliebte Bonadea und Clarisse, die neurotische Frau seines Freundes Walter, deren Weigerung, sich mit der alltäglichen Existenz abzufinden, in den Wahnsinn führt. “Der Mann ohne Eigenschaften” von Robert Musil ist teils Satire, teils visionäres Epos, teils intellektuelle Tour de Force – ein Werk von unermesslicher Bedeutung. Mit der Ausgabe des apebook Verlags wird der Versuch unternommen, auf Grundlage der Textanordnung durch den späteren Herausgeber Adolf Frisé und bei gleichzeitiger Streichung allzu stichpunktartiger und loser assoziativer Notizen in den entsprechenden Entwürfen, Studien und Fragmenten Musils, eine möglichst stringente Lesefassung des unvollendeten Romans anzubieten, bei der alle Kapitel vorhanden sind. Zwar kann man auch dadurch nicht über einen bloß skizzierten Schluss des Romans hinauskommen, aber es gelingt auf diese Weise doch, sozusagen einen möglichen roten Faden der Erzählführung erkennbar werden zu lassen. Dies ist der erste von insgesamt fünf Bänden.